[b]Der Lohn der Prostitution[/b]
[b]Der renommierte Ökonom Steve Levitt hat den Straßenstrich in seiner Heimatstadt Chicago erforscht und dafür mehrere Monate lang 160 Prostituierte interviewt. Die Studie liefert viele beklemmende Einblicke in das älteste Gewerbe der Welt – und in die Abgründe der amerikanischen Gesellschaft.[/b]
NEW ORLEANS. Steve Levitt hatte es geahnt. „Die Organisatoren wollten uns keinen größeren Raum geben“, entschuldigte sich der Ökonom aus Chicago. Dabei bot der „Grand Salon“ des Hilton-Hotels in New Orleans mehr als 200 Zuhörern Platz und gehörte damit zu den größeren Veranstaltungssälen auf der Jahrestagung der American Economic Association. Trotzdem mussten etliche Besucher stehen, als der Autor des Bestsellers „Freakonomics“ dort seinen Vortrag hielt.
Levitts Thema war sexy – im wahrsten Sinne des Wortes. Der renommierte Forscher präsentierte eine empirische Analyse des Straßenstrichs in seiner Heimatstadt Chicago. Mehrere Monate lang hatte Levitt zusammen mit dem Soziologen Sudhir Venkatesh von der Columbia University in New York in mehreren Rotlichtbezirken der Metropole 160 Prostituierte befragt.
Levitt stieß bei seinen Untersuchungen dabei auf teils erschütternde Fakten. So stellten die Forscher fest: Zwar ist käuflicher Sex in Chicago offiziell verboten. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass eine Prostituierte von einem Polizisten verhaftet wird, ist viel geringer, als dass sie mit ihm Sex hat – kostenlos, versteht sich. In fünf Prozent aller Fälle würden die Frauen unentgeltlich arbeiten, sowohl für Polizisten wie auch für die Mitglieder der örtlichen Gangs.
Alarmierend ist, dass der Gebrauch von Kondomen wohl eher die Ausnahme ist: Nur bei jedem vierten Geschlechtsakt kommen sie zum Einsatz. Der Aufpreis, den Prostituierte für ungeschützten Geschlechtsverkehr nehmen können, ist gering – er liegt bei zwei Dollar beziehungsweise zehn Prozent des Preises. Im Schnitt einmal im Monat werden die Frauen Opfer von Gewalt.
Eine Prostituierte auf dem Chicagoer Straßenstrich kann pro Stunde zwischen 25 und 35 Dollar verdienen – das ist vier- bis fünfmal mehr als der Mindestlohn in der legalen Wirtschaft. „Angesichts der Arbeitsbedingungen und der Risiken, die die Frauen eingehen, erscheint mir das kein besonders hoher Aufschlag zu sein“, sagte Levitt.
Zu den erstaunlichen Ergebnissen der Studie gehört, dass sich Zuhälter offenbar für Prostituierte auszahlen. „Wenn es einen Zuhälter gibt, kommen die Prostituierten auf einen höheren Stundenlohn und haben weniger Ärger mit der Polizei“, so Levitt. „Als die Frauen, die wir interviewten, mitbekamen, dass wir durch die Untersuchung auch Zuhälter kennengelernt haben, fragten viele, ob wir ihnen nicht einen vermitteln können.“ Allerdings erscheint fraglich, inwieweit sich dieser Befund auf Länder übertragen lässt, in denen käuflicher Sex legal ist. Levitt: „In einem vollkommen unregulierten Markt wie dem von Chicago scheinen Zuhälter wichtig, um das Geschäft zu organisieren.“
Quelle: HANDELSBLATT-online, Dienstag, 8. Januar 2008, 10:35 Uhr