Razzia
Ich bin zum Glück nicht in die Razzia geraten, aber es ist auch nicht lange her, dass ich im Artemis war. War sozusagen "knapp daneben" bei mir. Für mich zum Glück. Andere Männer hatten Pech und die Frauen auch.

Den Medienberichten zufolge ist der zentrale Vorwurf der der Scheinselbständigkeit: Die Prostituierten wurden als Selbständige geführt. In Wirklichkeit seien sie aber durch Dienstpläne, genaue Arbeitsanweisungen bezüglich Preisen und Arbeitskleidung, sowie regelmäßiger Kontrolle derselben wie Angestellte in einem Betrieb eingebunden gewesen. Damit hätten sie aber auch als Angestellte geführt werden müssen - inklusive Sozialversicherungs-Anmeldung und der Abführung von Beiträgen zur Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung.

Die in der Presse gennante Schadenssumme von 17,5 bis 21 Mio. Euro kann man recht leicht nachrechnen: Bei durchschnittlich 100 Frauen täglich und einem angenommenen durchschnittlichen Tagesverdienst (ohne Trinkgeld und Extras) von 300 Euro geht es um 30.000 Euro Bruttolohn am Tag. Über einen Zeitraum von 5 Jahren summiert sich das auf 30.000 Euro * 5 * 365 = knapp 55 Mio. Euro auf. Die zugehörigen SV-Beiträge sind etwas über 40 Prozent davon, also gut 20 Mio. Euro.

So weit, so schlecht.

Fakt ist, dass mit dem üblicherweise praktizierten Abrechnungsmodell "selbständige Tätigkeit" so gut wie alle Bordell-Betreiber(innen) mit einem Bein im Knast stehen. Denn je besser sie ihren Bettrieb unter Kontrolle haben, desto höher ist die Gefahr, dass bei einer SV-Prüfung die Beschäftigungsverhältnisse als "abhängig" und "unselbständig" eingestuft werden. Wenn der/die Betreiber(in) aber die Frauen machen lässt, was sie wollen, dann führt das recht schnell zu Unfrieden und damit zum Abwandern der Frauen. Schließlich wollen sie nicht dauernd mit den Kunden über Dinge diskutieren wie: "Deine Kollegin XY macht FT für 10 Euro extra, warum willst Du jetzt 20?" (BTW: Im Artemis kostete FT wohl sogar 50 Euro und Anal 100 Euro - bei den Extras wurde richtig zugelangt. Habe sie dort aber nie in Anspruch genommen).

Um Diskussionen zu vermeiden, hat so gut wie jedes Bordell eine Preisliste. Und weil die Männer nicht so gerne den Spruch hören: "Sorry, ist gerade keine Dame frei" hat auch so gut wie jedes Bordell einen Dienstplan. Damit sind aber Arbeitszeiten und Preise fest vorgegeben - und das spricht nunmal beides gegen echte Selbständigkeit.

Anderes spricht für Selbständigkeit. Im Artemis haben die Frauen zum Beispiel den Liebeslohn direkt kassiert, und sie mussten von dem nicht mal Zimmermiete abführen - die war mit einem pauschalen Eintrittsentgelt bereits abgegolten. Zudem waren die Frauen frei in der Entscheidung, welche Männer sie überhaupt ansprechen. Sie konnten auch Kunden ablehnen. Das ist mir zwar nicht passiert, aber eine Frau hat mir mal erzählt, dass sie es manchmal tat. Manche Frauen waren bereit, es mit einem Gast auch im Pornokino zu treiben, wo andere Männer und Frauen zuschauen konnten. Andere boten dort nur das Vorspiel (i.W. FO) an, andere gingen gar nicht ins Kino. Und bei den Extras waren die Frauen sowieso frei, ob sie FT, Anal, ZK usw. machten oder nicht. Angesichts der gesalzenen Preise für diese Extras und der Bereitschaft vieler Männer, diese zu bezahlen (haben mehrere Männer mir unabhängig voneinander selber erzählt, dass sie die teuren Extras buchen, bzw. FT habe ich auch mit eigenen Augen im Kino gesehen *g*), machte die Entscheidung pro/contra Extras einen ganz erheblichen Teil des Verdienstes aus, den die Damen erhalten. Das spricht wiederum FÜR echte Selbständigkeit.

Auch ist anzunehmen, dass etliche der Damen, die im Artemis arbeiteten, zugleich bei Escort-Agenturen in der Kartei standen. Buchte dann ein Kunde ein dreistündiges Dinner-Date für 600 Euro über die Agentur, sagten sie für den Tag im Artemis ab. In diesem Sinne "mehrere Eisen im Feuer zu haben" spricht ebenfalls für Selbständigkeit. Das gleiche gilt, wenn Frauen mal ein paar Wochen hier und dann ein paar Wochen dort arbeiten. Eine Frau hatte mir mal erzählt, dass sie sich darauf freut, während einer Messe von einem Münchner Club engagiert worden zu sein. Insbesondere erwartete sie, dort mehr Geld für die gleiche Leistung zu verdienen als in Berlin.

Auch solche tage- oder wochenweisen Zwischenengagements sprechen ganz klar FÜR eine echte Selbständigkeit. Welcher Betrieb gewährt denn Bitteschön z.B. einer Verkäuferin zwei Wochen unbezahlten Urlaub, damit sie in der Zeit woanders arbeiten kann???

Fazit: Bisher gibt es so gut wie keine gerichtlichen Entscheidungen darüber, wo genau bei den typischern Beschäftigungsverhältnissen für Sexarbeiterinnen die Grenze zwischen echter Selbständigkeit und Scheinselbständigkeit liegt. Beim bekannten Fall der Flatrate-Bordell-Kette "Pussyclub" kam neben festem Dienstplan, Arbeitskleidung und Festlegung der Sexualpraktiken auch noch hinzu, dass der Club das Inkasso übernahm, also die Männer an den Club und nicht an die Frauen bezahlten. Letztere waren dadurch total unselbständig. Das Problem haben aber eigentlich alle Flatrate-Clubs, aber eben nicht die FKK-Clubs wie das Artemis, wo die Frauen selber inkassieren. Sie haben in den FKK-Clubs sogar das Risiko, Verluste zu machen, wenn sie den pauschalen Eintritt bezahlen, dann aber keine Gäste finden, die mit ihnen Sex haben wollen. Dass die Frauen ein echtes Verlustrisiko haben, spricht sehr stark FÜR Selbständigkeit. Zum Vergleich: Die Leiter von McDonald's-Filialen haben i.d.R. einen Franchise-Vertrag mit der McDonald's-Zentrale, der alles haarklein vorschreibt. Dennoch sind die Filialinhaber selbständig, weil sie das Verlustrisiko tragen! Allerdings kommt bei denen noch hinzu, dass sie Angestellte beschäftigen, während die SDLs im FKK-Club ja keine Unter-SDLs anstellen...

Feste Preislisten und Arbeitszeiten sind im Gewerbe normal und sprechen zwar tendenziell für Unselbständigkeit. Sie sind aber notwendig, um dem Interesse der Kunden gerecht zu werden, und sind daher nicht sonderlich hoch zu bewerten. Wichtiger ist, dass die Frauen frei in der Entscheidung sind, welche Extras sie anbieten, und mit welchem Kunden sie wie weit gehen, wenn sie ihn überhaupt annehmen. Zudem ist es auch üblich, dass sich Frauen tage- oder wochenweise abmelden und das nicht nur, weil sie ihre Tage haben, sondern auch, weil sie woanders einen lukrativen Auftrag an Land gezogen haben. Sollte das Artemis von den genannten Standards erheblich abgewichen haben (also z.B. keinen Eintritt von den Frauen verlangt haben, Vorschriften bezüglich der Annahme von Kunden und dem Anbieten von Extras gemacht haben, das Kobern an anderer Stelle verboten haben usw. usf.) dann wären die Inhaber zu Recht am Pranger. Andernfalls ist aber durchaus denkbar, dass das Verfahren am Ende mit einem großen Freispruch endet und die Stadt Berlin - mal wieder - als der Dumme dasteht. Klein beigeben werden die Betreiber sicher nicht so schnell. Und zum Thema (Schein-)Selbständigkeit waren sie sicher gut beraten.
Es bedanken sich: karlskrone,Quax der Bruchpilot,Ffmain,arno_nym,tommibecker,ClickClick,mar347,Brustmolch,,Pegasys,Priapos,buschmann,streuner-strolch,Liebling,mechelen,lostinxs2005,Homer,yogi117,atlantisfan,Sharky007,Gere6,Tracer,Xenon,Jerry,Gambler69,mojoman,Steffen822,tiger1,Chris33,,Cicassos


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Razzia - von ClickClick - 13.04.2016, 19:15
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