Der schwarze Ordner...
(04.12.2011, 17:21)matze schrieb: http://www.saarbruecker-zeitung.de/aufma...toky7IUq7s

Die sprechen von 200 Frauen, die ihren Körper auf dem Straßenstrich an der Dudweilerstraße. Grübel Na ja. Ist wohl damit ausreichend Fördermittel fließen.

Zitat:Das Projekt »le trottoir« bietet drogenabhängigen Prostituierten Hilfe an. (Symbolbild) Arno Burgi/dpa
Drei Frauen erzählen aus ihrem Leben zwischen Heroin und Straßenstrich

Prostitution sehen viele Frauen in Saarbrücken als einziges Mittel, um ihre Drogensucht zu finanzieren. Um sich Heroin leisten zu können, verkaufen zirka 200 Frauen ihren Körper auf dem Straßenstrich an der Dudweilerstraße. Dort werden sie vom Projekt "le trottoir" betreut.

Von SZ-Redaktionsmitglied Florian Rech

Das Projekt »le trottoir« bietet drogenabhängigen Prostituierten Hilfe an. (Symbolbild)
Arno Burgi/dpa
Saarbrücken. Im schwarzen BMW, der die kurze Straße zum ehemaligen Hela-Parkplatz an der Dudweilerstraße hinabfährt, sitzt ein Mann mittleren Alters. Gepflegt, dunkles Haar. Als „Typ verheiratet, zwei Kinder“ schätzt Sonja (Namen der Prostituierten von der Redaktion geändert) ihn ein. Das Auto wendet, der Mann lässt die Scheibe runter. „Fickst du für'n Zehner?“, fragt er. Sonja ist geschockt: „Zehn Euro? Das Anschaun kostet schon soviel.“ Der Mann grinst und fährt weiter. Weiter zu einer der anderen acht Frauen, die hier an der kurzen Straße vor drei blauen Containern der Prostitution nachgehen. Dann fährt er weg. Später wird er wiederkommen und erneut seine Frage stellen. Er weiß: Je länger die Frauen ohne Freier stehen, desto erpressbarer werden sie. Die Frauen sind alle stark drogenabhängig und jede Minute ohne Freier, ohne Geld für Heroin, bringt sie den Entzugserscheinungen, dem „Turkey“, wie sie es nennen, näher.

Als „Jagdfieber“ bezeichnet die Diplom-Sozialpädagogin Eva Wache das Verhalten des Freiers. Die 39-Jährige arbeitet seit 14 Jahren im Saarbrücker Drogenhilfezentrum in der Brauerstraße und ist zuständig für „le trottoir“. Seit Januar 2007 helfen die Mitarbeiter des Projekts drogenabhängigen Prostituierten, ihr Leben erträglich zu gestalten und irgendwann vielleicht einmal von der Sucht loszukommen und dann den Straßenstrich zu verlassen. Das Projekt „le trottoir“ ist in drei Containern an der Dudweilerstraße untergebracht. „Wir sind sowohl Betreuungs- als auch Beratungsstelle für die Frauen.“ 200 drogenabhängige Prostituierte hat „le trottoir“ bisher erreicht. Momentan stehen jeden Abend acht bis zehn Frauen vor den Containern.

„Für die Gesellschaft sind wir Abschaum“, sagt die 33-jährige Sonja. „Wenn die Leute hören, dass du drogenabhängig bist und dann noch erfahren, dass du anschaffen gehst, bist du das Letzte. Da fragt niemand wieso, weshalb, warum. Warum ist egal. Einfach Abschaum!“ Sonja sieht ihr „Warum“ in ihrer Kindheit. Elterliche Zuwendung gab es nicht. Mit 14 Jahren experimentierte sie mit Amphetaminen und Kokain. Mit 15 lief sie von zu Hause weg, schlief mal hier mal da – und fand die falschen Freunde. „Die hatten nie Hunger“, sagt Sonja, „das lag am Heroin“. Denn das kann das Hungergefühl unterdrücken. „Mit 16 habe ich mir dann das erste Mal Heroin gespritzt.“

Mehre Jahre konnte Sonja ihre Sucht durch Gelegenheitsjobs finanzieren. Dann wurde sie von einer ebenfalls drogenabhängigen Frau mit auf den Strich genommen. Mit 25 ging Sonja das erste Mal anschaffen.

Sonja hat Angst bei ihrer Arbeit: „Bis jetzt habe ich Glück gehabt, auf dem Strich“, erzählt sie, „erst ein paar Mal habe ich schlechte Erfahrungen gemacht.“ Vor einiger Zeit wurde sie von einem Freier überfallen, konnte aber fliehen. Andere Frauen hatten weniger Glück. Erst im September wurde eine der Frauen von einem Freier mit einer Glasflasche übel zugerichtet. Im Kontaktcontainer am Straßenstrich, einer Mischung aus Sprechzimmer und Suppenküche, liegt ein großer schwarzer Ordner. Hier sammeln die Frauen ihre negativen Erfahrungen über gewalttätige Freier und solche, die die Zeche prellen.

„Ich finde den Container super wichtig“, sagt Nicole, „hier sehe ich, welche Männer gefährlich sind, bekomme etwas Warmes zu essen und trinken und kann mit all meinen Problemen zu den Sozialarbeitern kommen. Ich werde hier immer getröstet.“ Nicole, 24 Jahre alt, geht auf den Strich seit sie 15 ist. Mit neun Jahren begann sie exzessiv zu trinken und wurde alkoholabhängig. Hinzu kamen Marihuana und Amphetamine. Liebe, sagt sie, hat sie nie gekannt, in der Familie und in Beziehungen wurde sie verprügelt. Durch ihren Freund kam sie vor sieben Monaten an die Nadel und ist seitdem heroinabhängig. „Ich wollte eigentlich nie mehr anschaffen gehen“ sagt sie, „das war ekelhaft, die ganze Zeit die alten Säcke befriedigen. Doch mein Freund hat gemeint so bekämen wir besser Geld für Braun (Heroin).“

Die Droge ist für Sonja und Nicole der alles bestimmende Faktor in ihrem Leben. Morgens nach dem Aufstehen setzen sie sich einen Schuss, dann gehen sie anschaffen, um neue Drogen zu kaufen. Danach machen sie sich auf in den Konsumraum des Drogenhilfezentrums in der Brauerstraße. Dort noch mehr Heroin. Dann wieder Anschaffen. Danach der nächste Schuss. Immer im Wechsel, den ganzen Tag, sieben Tage die Woche. „Ich brauche die Droge, um auf den Strich zu gehen“, sagt Sonja, „wenn ich bei der Arbeit auf Turkey bin, muss ich mich übergeben. Ich habe richtig Abscheu vor dem, was ich mache.“ Die 24-jährige Nicole hasst ihre Arbeit: „Was ich da machen muss ist ekelhaft. Dann wird dir erst bewusst 'Oh Gott, was machst du da'.“ Wenn sie den nächsten Schuss braucht, achtet Nicole nicht auf ihre Sicherheit. Oft hat sie Angst, in ein Auto einzusteigen. „Doch dann fahr ich trotzdem mit, weil ich das verdammte Geld brauch.“

3,5 bis vier Gramm Heroin am Tag konsumiert Sonja. Bei einem Preis von zirka zehn Euro pro Plombe, das sind 0,2 Gramm Heroin, muss sie dafür mindesten fünf bis sechs Freier bedienen. Ihre 340 Euro Hartz IV decken ihren Bedarf bei Weitem nicht. Die euphorisierende Wirkung hat das Heroin bei ihrem Konsum längst verloren. „Ich nehme das nur, damit ich keine Schmerzen hab. Ich bekomme lieber zehn Kinder als einmal auf Turkey“, sagt die mehrfache Mutter. Der Schmerz sei viel schlimmer. Auch Sonja geht nicht gerne auf den Strich. „Viele denken, das wäre ein einfacher Job. Dass das ans Innere geht, versteht niemand. Mit einem Mann könnte ich nie mehr zusammenleben.“

Viele drogenabhängige Frauen in Saarbrücken sehen die Prostitution als einzigen Weg, um an genug Geld zu kommen und so ihren Drogenkonsum zu decken. „Es ist ein legaler Weg“, sagt die 44-jährige Chantal, „wenn man nicht klauen oder dealen will, versucht man es als Frau halt auf diesem Weg.“

Früher hat Chantal selbst Drogen verkauft, doch sie wählte den Straßenstrich als legale Alternative. Die Frau, die studiert hat und sich eine eigene Firma aufbaute, ist seit 26 Jahren heroin- und kokainabhängig. Schlechte Erfahrungen mit Freiern hat sie noch nicht gemacht, was sie auf ihr selbstbewusstes Auftreten zurückführt. Sie ist auch oft Zuhörerin und Kummertante für ihre Freier.

Chantal und Nicole wollen ihn schaffen, den großen Absprung raus aus Drogenabhängigkeit und Straßenstrich. Sie träumen von einem ganz normalen, bürgerlichen Leben. Nicole möchte ihren Hauptschulabschluss und eine Ausbildung machen, Chantal hätte gern einen eigenen kleinen Laden. Auch Sonja wünscht sich solch ein Leben, doch an einen Absprung glaubt sie nicht: „Aus meinem Umkreis bin ich die Letzte, die noch hier ist. Zwei, drei sind heute clean. Für die anderen gab es nur einen Weg aus den Drogen, den ins Grab.“

Hintergrund
Das Projekt „le trottoir“ des Drogenhilfezentrums (DHZ) Saarbrücken bietet seit Januar 2007 Hilfe für Frauen, die sich zur Finanzierung ihrer Drogensucht prostituieren. Das Projekt ist in drei Containern, direkt am Straßenstrich an der Dudweilerstraße untergebracht. Das Angebot reicht von Sozialberatung und Krisenintervention bis zur Gesundheitsberatung. Einmal im Monat besucht eine Mitarbeiterin des Gesundheitsamts das Projekt, klärt über Geschlechtskrankheiten auf und testet die Prostituierten auf Wunsch auf HIV und andere Erreger. Im Container werden Kondome und Gleitmittel sowie Informationsbroschüren verteilt. In einem Container wurden eine Dusche und Toiletten installiert. Ein Beamter der Kontaktpolizei hält alle zwei Wochen eine Sprechstunde. Angeboten wird im Projekt auch eine Ausstiegsberatung. Die Sozialpädagogen folgen dabei den Leitsätzen der akzeptierenden Drogenarbeit, bei der nicht die Entwöhnung der Süchtigen im Vordergrund steht, sondern die Verbesserung ihrer Lebenssituation bei gleichzeitiger Akzeptanz des Drogenkonsums. So sollen Vertrauen aufgebaut und der richtige Moment für eine freiwillige Therapie abgepasst werden. fre
Beitrag vom: 03.12.2011, 00:13


Nachrichten in diesem Thema
Der schwarze Ordner... - von matze - 04.12.2011, 17:21
RE: Der schwarze Ordner... - von saarboy123 - 05.12.2011, 13:13
RE: Der schwarze Ordner... - von Pikashu - 07.12.2011, 23:24
RE: Der schwarze Ordner... - von lostinxs2005 - 05.12.2011, 16:28
RE: Der schwarze Ordner... - von matze - 05.12.2011, 18:15
RE: Der schwarze Ordner... - von LaFee - 05.12.2011, 19:55
RE: Der schwarze Ordner... - von saarboy123 - 06.12.2011, 08:48
RE: Der schwarze Ordner... - von lostinxs2005 - 06.12.2011, 09:25
RE: Der schwarze Ordner... - von Horus - 06.12.2011, 10:33
RE: Der schwarze Ordner... - von SBler - 06.12.2011, 12:07
RE: Der schwarze Ordner... - von LaFee - 06.12.2011, 21:08
RE: Der schwarze Ordner... - von siola - 06.12.2011, 21:37
RE: Der schwarze Ordner... - von Stuart - 07.12.2011, 17:21
RE: Der schwarze Ordner... - von LaFee - 07.12.2011, 21:49
RE: Der schwarze Ordner... - von marakesch - 07.12.2011, 22:13
RE: Der schwarze Ordner... - von Crash - 07.12.2011, 23:12
RE: Der schwarze Ordner... - von Crash - 08.12.2011, 00:39
RE: Der schwarze Ordner... - von Renegade - 08.12.2011, 17:47
RE: Der schwarze Ordner... - von Tom_Neu - 09.12.2011, 00:37
RE: Der schwarze Ordner... - von marakesch - 10.12.2011, 20:35
RE: Der schwarze Ordner... - von backstage - 11.12.2011, 00:42